Uruguays Präsident Mujica – Der Erdklumpen tritt ab

Früher Guerilla-Kämpfer, heute Blumenzüchter ohne Handy und Kreditkarte: José Mujica ist einer der eigenwilligsten Politiker dieser Zeit. Nun muss der Präsident Uruguays sein Amt aufgeben. Er hinterlässt ein schweres Erbe.

Ein Erdklumpen mit Füßen, so beschreibt er sich gerne selbst. Und das sagt schon einiges, wenn nicht gar alles aus über diesen José Mujica. Erstens nimmt er sich nicht zu wichtig. Und zweitens weiß er das politisch zu nutzen. Sich nicht zu wichtig zu nehmen, ist in seiner Branche ein Alleinstellungsmerkmal. Mujica hat damit Karriere gemacht.

Der scheidende Präsident zeigte sich Journalisten am liebsten zu Hause als Blumenzüchter und mit seiner dreibeinigen Hündin Manuela. (Foto: Andres Stapff/Reuters)


Und was für eine Karriere das war: Der selbsternannte Erdklumpen kämpfte in den Sechzigern an vorderster Front der Stadtguerilla Tupamaros. Zu Zeiten der Militärdiktatur saß er im Foltergefängnis. Nach seiner Befreiung begann er, Blumen zu züchten. Mit 74 Jahren wurde er zum Staatsoberhaupt von Uruguay gewählt. Jetzt, mit 79, hört er auf. Die uruguayische Verfassung verbietet dem Präsidenten eine direkte Wiederwahl.

Am Freitagabend wird sich José Mujica, genannt Pepe, in Montevideo von seinem Volk verabschieden. Am Sonntag übergibt er die Amtsgeschäfte an seinen Vorgänger und Nachfolger, den Krebsarzt Tabaré Vázquez, 75. Er hinterlässt seinem linken Parteifreund ein seltsames Erbe.

Mujica hat politisch vieles umgesetzt, was er gar nicht versprochen hatte

Uruguay geht es verhältnismäßig gut, wenn man sich in Südamerika so umschaut. Die Wirtschaft wächst, die Armut sinkt, das kleine Land am Rio de la Plata ist scheinbar immun gegen jene Krisenstimmung, die große Teile der Region erfasst hat. Und doch sind nicht alle mit dem scheidenden Präsidenten zufrieden.

Mujica hat politisch vieles umgesetzt, was er gar nicht versprochen hatte, liberale Bürgerrechtsgesetze vor allem. Er hat die Abtreibung entkriminalisiert, die Homo-Ehe eingeführt, Marihuana legalisiert und entlassenen US-Häftlingen aus Guantánamo Asyl gewährt.

Auf der anderen Seite hat er aber auch einiges links liegen lassen, was fest versprochen war. Etwa den Kampf gegen die zunehmende Kriminalität. Oder die groß angekündigte Bildungsreform. Die konservative Opposition lästert, dass Mujica am Ende seiner Amtszeit deutlich besser dastehe als sein Land – als der international gefeierte Popstar der lateinamerikanischen Linken.

Mehrere internationale Kinofilme über Mujicas Leben sind geplant

Da ist viel Neid herauszuhören. Es lässt sich aber auch nicht leugnen, dass Mujicas Außendarstellung die Realitäten in Uruguay ein wenig überstrahlt. Noch bevor er seinen Schreibtisch geräumt hat, sind mehrere internationale Kinofilme über sein Leben angekündigt. Darin wird es natürlich wieder um seinen alten VW-Käfer und sein bescheidenes Bauernhaus gehen, um sein Dasein als Blumenzüchter und um die dreibeinige Hündin Manuela. Um all das, worüber sich Weltöffentlichkeit – nicht ganz zu Unrecht – die Augen reibt.

Der Präsident Mujica hat Presse und Filmteams selten in seinem Büro empfangen, er ist ein Meister der wohlkalkulierten Homestory. Der serbische Regisseur Emir Kusturica muss für seinen Mujica-Film noch die letzten Szenen drehen. Der Titel steht aber schon fest: „El último héroe“, der letzte Held.

Angeblich besitzt Mujica kein Handy und keine Kreditkarte

Ob José Mujica ein Held ist, da scheiden sich die Geister. Fest steht, dass es sich um einen der eigenwilligsten Spitzenpolitiker dieser Zeit handelt. So schlau wie schnoddrig, so kühn wie komisch. Einer, der angeblich kein Handy und keine Kreditkarte besitzt, der 90 Prozent seines Gehalts für wohltätige Zwecke spendet, der Barack Obama im Weißen Haus ohne Krawatte besucht und hinterher mitteilt: „Ein alter Lappen, der um meinen Hals baumelt, das sagt nichts aus.“

Als er dieser Tage eine Bilanz seiner Regierungszeit zog, sagte José Mujica: „Kann sein, dass ich ein Agitator bin. Es werden andere kommen, die es besser machen.“ Diese Fähigkeit zur Selbstkritik, ja zur Selbstironie ist es wohl, die ihn am deutlichsten von allen anderen linken Präsidentinnen und Präsidenten in Lateinamerika absetzt. Er hat den oft starrköpfigen Genossen von Argentinien bis nach Kuba bewiesen, dass es so etwas wie einen pragmatischen Reformkurs geben kann. Ein Sozialismus, der Kompromisse kennt. Das ist nicht die schlechteste Hinterlassenschaft.

Und jetzt? Wird er sich ganz und gar seinen Blumen widmen? Von wegen. Bei den Wahlen im Oktober hat José Mujica mit komfortabler Mehrheit einen Sitz im Senat gewonnen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Gefunden beu Sueddeutsche.de

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