Venezuela: Das Entschärfen einer Massenvernichtungswaffe

Der US-amerikanische Ökonom Mark Weisbrot plädiert für eine Öffnung der Wechselkurse in Venezuela

Die venezolanische Regierung hat oft einen Wirtschaftskrieg beklagt, und natürlich macht dieser einen Teil der aktuellen Situation aus. Die primäre Massenvernichtungswaffe in diesem Krieg ist der Dollar-Schwarzmarkt. Es ist kein Zufall, dass die Hauptinformationsquelle für diesen Markt – die extrem rechte „DolarToday“ – von jemandem geleitet wird, der im US- gestützten Militärputsch von 2002 eine wichtige Rolle inne hattte. Damals war er Militär – Colonel Gustavo Díaz Vivas – und heute residiert er in Alabama, USA, von wo aus DolarToday agiert.

Startseite von „Dolar Today“, die Hauptinformationsquelle für den Dollar-Schwarzmarkt
in Venezuela QUELLE: HTTPS://DOLARTODAY.COM/ (SCREENSHOT VOM 21. APRIL 2016)


Auch das ist kein Zufall. Washington versucht seit mindestens 15 Jahren die venezolanische Regierung zu stürzen und fast jeder Journalist, mit dem ich während dieser Zeit sprach – inklusive der Großen der internationalen Medienlandschaft – war sich dieser Anstrengungen durchaus bewusst, obwohl sie fast nie darüber schreiben.

Der Dollar-Schwarzmarkt ist besonders zerstörerisch, weil er Teil einer Inflations- Abwertungsspirale ist, die seit Herbst 2012 anwächst. Wenn der Dollarpreis auf dem Schwarzmarkt steigt, müssen Importeure mehr für die Dollar bezahlen, die sie benötigen und das lässt die Inflation ansteigen. Die höhere Inflation veranlasst dann wiederum mehr Leute Dollar zur Wertaufbewahrung auf dem Schwarzmarkt zu erstehen. Das hebt dann erneut den Schwarzmarkt- Preis, was die Inflation erhöht – eine kontinuierliche Spirale. Im Oktober 2012 betrug die Inflation 18 Prozent und der Dollar kostete auf dem Schwarzmarkt 13 Bolivar. Ende 2015 lag die Inflation bei 181 Prozent, während der Schwarzmarkt-Dollar nun mehr als 800 Bolivar kostete.

Der Hauptgrund dafür, dass diese Spirale sich nicht noch schlimmer zugespitzt hat, ist die Wirtschaftsrezession. Die Wirtschaft schrumpfte im letzten Jahr um 5,7 Prozent. Doch würden Versuche seitens der Regierung mithilfe einer Ausgabenpolitik für eine Wende zu sorgen, die Inflations- Abwertungsspirale sehr wahrscheinlich nur weiter ankurbeln. Die Wirtschaft ist dementsprechend in der Rezession gefangen.

Daher muss die Regierung diese Massenvernichtungswaffe untauglich machen. Der einzige Weg hierzu ist die Vereinheitlichung des Wechselkurses.

Viele Menschen fürchten diese grundlegende Veränderung. Manche glauben, dass sämtliche Ersparnisse sofort in den Dollar überführt werden würden und dass sich der neue ausgeglichene Kurs dann noch schlechter als der als der aktuelle auf dem Schwarzmarkt gestalten würde. Es stimmt, das viele Venezolaner lieber in Dollar sparen (das stimmt auch für Peru, Uruguay und andere lateinamerikanische Länder). Doch wollen sie den Dollar nicht zu jedem Preis. Aus diesem Grund pendelt sich auch der Schwarzmarkt- Kurs auf einem Gleichgewichtspreis ein, z.B. zum aktuellen Kurs von ungefähr 1 zu 1000. Falls die Regierung den offiziellen Wechselkurs freigäbe – was zu tun wäre, um den Schwarzmarkt zu beenden – so würde sich auch dieser Kurs an einem solchen Gleichgewichtspreis einfinden, und dieser wäre deutlich günstiger als der aktuelle auf dem Schwarzmarkt.

Andere gehen davon aus, dass die Regierung nicht genügend Dollar zu Verfügung habe, um sie auf einem Markt mit freiem Wechselkurs zu verkaufen. Doch das stimmt nicht. Obwohl die derzeitigen Einkünfte aus dem Ölverkauf nicht genügen, um für alle Importe aufzukommen, hat der Staat Dutzende Milliarden Dollar in internationalen Anlagen (und noch mehr im Inland), die verkauft werden könnten. Neun bis zehn Milliarden Dollar müssten hierzu jährlich versteigert werden (ca. 36 Millionen täglich), um den ausländischen Währungsmarkt ausreichend zu bedienen. Im vergangenen Jahr wurden ungefähr 12 Milliarden Dollar erlöst, davon jedoch ca. 95 Prozent zu extrem niedrigen Preisen von 6,3 bzw. 10 Bolivar der Dollar. Ein Großteil dieses Geldes wurde jedoch nie für Importe genutzt, da es höchstprofitabel auf dem Schwarzmarkt abgesetzt werden konnte. Das ganze System hält enorme Anreize für Korruption bereit

Interessanterweise öffnete Präsident Chávez im Februar 2002 die Wechselkurse. Im vorangegangenen Jahr war eine große Kapitalflucht zu verzeichnen gewesen, wodurch die internationalen Reserven der Zentralbank geschrumpft waren. Doch trotz der politischen Instabilität – dieser Schritt wurde zwei Monate vor dem Militärputsch vollzogen – sind die Reserven danach wieder angestiegen, bis zum Streik der Ölarbeiter am Ende jenes Jahres.

Andere argumentieren aus linker Perspektive, dass flexible Wechselkurse „Neoliberalismus“ seien und dass das Festhalten an den überbewerteten fixen Kursen „sozialistisch“ sei. Doch auch das ist ein gefährlicher Irrglaube. Die schlimmsten ökonomischen Krisen der späten 1990er Jahre – in Argentinien, Brasilien, Russland, Indonesien, Thailand und anderen Ländern – waren überbewerteten, fixen Wechselkursen geschuldet. Viele dieser überbewerteten, fixen Wechselkursen erfuhren große Unterstützung durch den Internationalen Währungsfond und andere Neoliberale – bis sie kollabierten.

Von Mark Weisbrot
Übersetzung: Steffen Lehnert
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