Juan Carlos Onettis Geschichten sind von einer ungeheuren Intensität. Nie ist etwas strahlend, nie einfach, aber der Leser kann von dieser Prosa nicht lassen. Nun sind Onettis Erählungen erstmals vollständig auf Deutsch erschienen.
Der uruguayische Schriftsteller Juan Carlos Onetti gilt als einer der bedeutendsten Autoren Lateinamerikas. (dpa/ picture-alliance/ Europa Press) |
Alles rostet, schimmelt und fault. Das Klima ist extrem, die Häuser zerbröckeln, schmierige Hotelzimmer bieten kurzzeitig Unterschlupf, man schlägt sich durch, das eigene Leben hat ohnehin niemand in der Hand. Die grandiosen Erzählungen von Juan Carlos Onetti, die im letzten Band der Gesammelten Werke erstmals vollständig auf Deutsch vorliegen, leuchten den Kosmos des uruguayischen Schriftstellers aus. Einige antizipieren oder spiegeln seine berühmten Romane wie „Der Schacht“ (1939) – laut Vargas Llosa die Geburt der lateinamerikanischen nueva novela – oder „Das kurze Leben“ (1961).
Man verfällt Onetti im Handumdrehen. Seine Düsternis entfaltet einen starken Sog, der Leser wird angesteckt von der Sinnlichkeit sämtlicher Wahrnehmungen, und die Zwangsläufigkeit, mit der sich seine Helden in ihre Pläne verstricken, besitzt eine ungeheure Intensität. Handlungsstränge zerfasern, werden unterbrochen oder von mehreren Enden aufgerollt, häufig taucht eine Erzählerfigur auf, die sich nach einer Weile als komplett unzuverlässig entpuppt. „Das Leben war immer schwierig und schön gewesen, nicht zu ersetzen, und der Fürst Orsini hatte die fünfhundert Pesos nicht“, heißt es über den zwielichtigen Manager eines abgehalfterten Boxers.
Ein einziges Mal hatte sich der Riese Jacob dem Kuhhandel im Ring mit abgesprochenem Resultat widersetzt – und prompt gewonnen, woraufhin sein Herausforderer auf dem OP-Tisch landet. In der Erzählung „Der verwirklichte Traum“ erfüllt sich eine alte Dame einen Wunsch und engagiert einen verwahrlosten Impresario samt Schauspieler, um eine Traumsequenz in Szene zu setzen. Sie selbst tritt ebenfalls auf die Bühne, was ihr den Tod bringt.
Onettis Figuren kommen nicht vom Fleck
Auch Onettis fiktive Stadt Santa María, Schauplatz zahlreicher Romane, kommt in den Erzählungen vor. Sie wird in der Geschichte „Dasein“ folgendermaßen charakterisiert: „Alles war tot, eingeäschert und im Fluss, im Nichts verloren“. General Cot hat die Macht ergriffen, den ins Exil vertriebenen Bewohnern bleibt nur noch die Herausgabe einer Zeitschrift, die sie „Dasein“ nennen – Zuflucht vor der Barbarei bietet allenfalls die Imagination. Deutlicher hat Onetti selten auf die Diktatur in Uruguay angespielt. Der 1909 in Montevideo geborene Journalist und Bibliotheksleiter floh 1975 ins spanische Exil, wo er bis zu seinem Tod 1994 in Madrid lebte.