Wissenschaftler beklagen „Revolution der Gummigeschosse“ in Argentinien

Aufruf von Kultur-und Sozialwissenschaftlern aus Europa. Seit Amtsantritt von Mauricio Macri herrsche ein Klima wie unter der Militärdiktatur

Anwohner des Armuts­vier­tels Villa 1–11-1 mit Schuss­ver­let­zungen nach Polizei­über­fall
QUELLE: ARGENTINAINDEPENDENT.COM

Berlin. Ein Dutzend Argentinien-Experten aus Europa haben sich in einem gemeinsamen Aufruf bestürzt über die massive Gewalt staatlicher Organe gegen Bewohner von Armenvierteln in dem südamerikanischen Land gezeigt. Unter dem erst vor wenigen Wochen vereidigten konservativen Präsidenten Mauricio Macri drohe ein Klima wie unter der Militärdiktatur, schreiben die Autoren von Universitäten in den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Schweden und Frankreich.

„Als akademisch Forschende beschäftigen wir uns seit Jahrzehnten mit der Geschichte und Kultur Argentiniens. Wir sind bestürzt. Empört. Besorgt. Während wir diese Zeilen schreiben, schießt die Polizei mit Gummigeschossen auf Kinder und Jugendliche“, heißt es in dem Aufruf, der auf dem deutsch-schweizer Internetportal Geschichte der Gegenwart erschien. Überfallartig seien Ordnungskräfte in ein Armutsviertel eingedrungen, in dem  Anwohner einen Karnevalsumzug probten. Die Polizisten hätten auf alles gefeuert, was sich bewegte: „Ohne Begründung, aus schierem Terror.“

„Seit dem Amtsantritt Mauricio Macris herrscht in Argentinien ein Klima, wie es das Land seit den blutigen Jahren der letzten Militärdiktatur nicht mehr erlebt hat“, beklagen die Autoren. Im Schutze der alljährlichen Parlamentsferien und unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Drogenhandels habe der Präsident den nationalen Ausnahmezustand ausgerufen, der den Einsatz des Militärs in Fragen der inneren Sicherheit erlaubt und sogar den Abschuss von Passagierflugzeugen ohne vorherige Warnung zulässt. Niemand dürfe mehr ohne Ausweispapiere das Haus verlassen. „Nicht einmal Mexiko ging so weit in der Antwort auf eine vermeintliche Bedrohung durch das organisierte Verbrechen – dabei ist Buenos Aires, zusammen mit Montevideo, die sicherste Hauptstadt Lateinamerikas“, schreiben die Argentinien-Experten.

Ebenfalls per Dekret „und in klarer Überschreitung seiner verfassungsmäßigen Kompetenzen“ habe Macri zwei alte Gewährsleute zu Bundesrichtern ernannt und das Gesetz zur Regulierung der Medienmonopole außer Kraft gesetzt. „Nicht einmal unter der Militärdiktatur war eine derart hohe Konzentration von Kanälen unter einer Hand erlaubt wie heute“, schreiben die Kultur- und Sozialwissenschaftler. Gleichzeitig seien unzählige kritische oder einfach nicht regierungskonforme Journalisten entlassen worden – nicht nur beim öffentlichen Rundfunk und Fernsehen, auch bei privaten Medien, denen mit staatlichem Werbeentzug gedroht wurde.

In diesem Klima allgemeiner Einschüchterung komme auch die Gewalt, mit der die Polizei gegen Proteste von Gewerkschaften und Arbeitslosen, Frauen und Indigenen vorgeht, nicht überraschend, ebenso wenig wie die Kriminalisierung jeglicher politischer Opposition. „Ihren Höhepunkt hat diese (vorerst) mit der Inhaftierung der Indigenen-Aktivistin und Abegordneten des Mercosur-Parlaments (Parlasur), Milagro Sala, erreicht, die an einem friedlichen Protestcamp teilgenommen hatte“, so die Autoren des Aufrufs. Amnesty International, Parlasur und das Europa-Parlament haben offiziell Protest eingelegt. Die Justizbehörden der Provinz reagierten darauf mit der Verschärfung von Salas Haftbedingungen und der Verhaftung weiterer Aktivisten.

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Von Harald Neuber

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